Wappenverleihung an den Markt Kirchschlag in der Buckligen Welt am 4.6.1989

Der in der südöstlichen Ecke des Bundeslandes Niederösterreich gelegene Markt Kirchschlag vermag auf eine lange ereignisreiche Geschichte zurückzublicken. Die Siedlung, die von einer mächtigen Burganlage beherrscht wird, hatte von allem Anfang an die Aufgabe, an der östlichen Grenze des alten deutschen Reiches ein echter „Graniz-Ort“, d.h. ein fester Grenzplatz zu sein, der als Bollwerk gegen die von Osten stets drohende Feindesgefahr zu dienen hatte. Kamen doch hier durch das gegen Ungarn zu offene Zöberntal immer wieder feindliche Scharen herauf: Magyaren, Türken, Heiducken, Kuruzzen u.a.
Der unter dem Schutz der Kirchschlager Burg gelegene Ort zog schon früh zahlreiche Handels- und Gewerbetreibende an, so dass sich hier bald ein reges Marktleben entfaltete. Bezeichnenderweise werden die Einwohner Kirchschlags schon in einer Urkunde des Ödenburger Gespans Laurentius aus dem Jahr 1279 „cives“, d.i. „Bürger“ genannt  und der Kirchschlager Herrschaftsinhaber Konrad von Pottendorf hat am 1. November 1304 in einem Testament seiner Ehefrau Hedwig und deren Kindern „haus und marchet Chirchslag“, d.i. „Burg und Markt Kirchschlag“ vermacht. Kirchschlag war also schon zu Beginn des 14. Jahrhunderts Markt!
Die Erhebung Kirchschlags zum Markt hat – wie dies bei den meisten niederösterreichischen Marktorten der Fall war  – offenbar der Grundherr vorgenommen, in unserem Fall höchstwahrscheinlich ein Pottendorfer.
Dafür spricht auch der in Kirchschlag seit Jahrhunderten in Gebrauch stehende Stempel des großen Marktsiegels. Dieses zeigt ein auf einem Dreihügelberg stehendes Stadttor in einer zinnenbekrönten Mauer, mit geöffneten Torflügeln und hochgezogenem Fallgitter, flankiert von zwei mehreckigen gezinnten Türmen, die von ebenfalls zinnengekrönten Mauern umgeben sind. Zwischen, bzw. über den Türmen erscheint der zweigeteilte Schild der Herren von Pottendorf, in dessen oberem Teil ein aufsteigender Löwe zu sehen ist. Der Schild wird von einem Engel gehalten, der seine Flügel über die beiden Türme ausbreitet. Auf den beiden seitlichen Rändern des Siegels befinden sich Schriftbänder, die in gotischen Lettern die Inschrift „S. opidi in chirchslag“ tragen, wobei S. als Abkürzung für Sigillum = Siegel zu deuten ist, während oppidum die lateinische Bezeichnung für „befestigter Ort“ bzw. „Markt“ ist. Die Inschrift lautet demnach in deutscher Übersetzung: „Siegel des Marktes zu Kirchschlag“.
Dieses Siegel, dessen Gebrauch die Kirchschlager Herrschaftsinhaber der Marktgemeinde offenbar zugestanden hatten, ist kein Wappen, sondern eine Art Identitäts- bzw. Beglaubigungszeichen. Allerdings diente die Darstellung des Siegels dann später als Vorbild für das Wappen.

Eine derartige Verwertung des Siegels fand – wahrscheinlich erstmals – beim Neubau der Kirchschlager Pfarrkirche in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts statt. Damals wurden nämlich die Schlusssteine des Gewölbes des im Jahre 1480 fertig gestellten Priesterchores mit Wappen geschmückt. Es handelt sich dabei um drei Holzschilde, deren erster das Wappen des Stifters und Bauherrn Friedrich von Pottendorf darstellt, dessen unterer Teil eine rote Farbe aufweist, während der in blauer Farbe gehaltene obere Teil einen aufsteigenden silbernen Löwen zeigt. Auf dem dritten Schild ist ein Bild des Kirchenpatrons, des hl. Johannes des Täufers, zu sehen. Der mittlere Schild gibt in Wappenform die Darstellung des großen Kirchschlager Marktsiegels wieder, wobei folgende Farben verwendet wurden: Die Grundfarbe des Schildes ist rot; die silbernen Stadtmauern stehen auf grünem Grund, während die Torflügel samt dem Fallgitter und dem über dem Tor schwebenden Engel aus Gold sind; der vom Engel gehaltene Schild weist die üblichen Farben des Pottendorfer Wappens, nämlich rot und blau und den silbernen Löwen auf.
Es ist ein besonderer Glücksfall, dass uns dieser alte am Gewölbe der Kirchschlager Pfarrkirche angebrachte Schild die historischen Farben des Kirchschlager Wappens vermittelt, da sie sonst völlig in Vergessenheit geraten wären. Man hat nämlich nach 1480 eine Darstellung des Kirchschlager Wappens in Farben offenbar nicht mehr versucht. Als Ernst Zickero dann im Jahre 1871 seine Chronik „Kirchschlag und seine Denkwürdigkeiten“ veröffentlichte, ließ er auf dem Titelblatt des Büchleins eine Schwarzweißzeichnung des großen Kirchschlager Marktsiegels anbringen, wodurch dieses Siegelbild bald eine gewisse Popularität erlangte und gelegentlich zu Dekorationszwecken auch in Farben dargestellt wurde, wobei die Wahl der Farben mehr oder weniger dem Geschmack des jeweiligen Malers überlassen war.
Das trifft auch auf das in Farben gehaltene Wappenbild zu, das heute im Kirchschlager Heimatmuseum hängt und im Jahre 1941 von dem Graphiker Arkople aus Beuthen entworfen wurde. Dieses Bild zeigt nämlich einen Schild mit blauer Grundfarbe, eine goldene Mauernarchitektur, einen vielfärbigen Engel mit silbernen Flügeln und ein in den Farben völlig falsches Pottendorfer Wappen mit rotem Löwen und weist überdies auch in der Zeichnung Abweichungen von der traditionellen Darstellung auf.
Dennoch übernahm in der Folge die Praxis der Kirchschlager Gemeinde dieses historisch völlig falsche Bild als Wappenmuster, da die Erinnerung an das alte Wappen, das heute noch die Decke der Kirchschlager Pfarrkirche schmückt, offenbar längst verloren gegangen war. So wurden in den letzten Jahrzehnten wiederholt Ehrenurkunden, Tafeln, Fahrzeuge der Gemeinde und der Feuerwehr usw. mit Wappenbildern versehen, die dem unhistorischen Muster aus dem Jahre 1941 entsprachen.
Glücklicherweise bedeutet dies aber keinen Fehler, der sich nicht wiederum gutmachen ließe. Die Führung eines Gemeindewappens ist nämlich an eine Verleihung gebunden, die ursprünglich durch den Landesfürsten erfolgte. Seit Bestehen der Republik Österreich ist dieses Verleihungsrecht in die Zuständigkeit der Bundesländer übergegangen. Die Marktgemeinde Kirchschlag hat jedoch niemals ein Wappen verliehen bekommen; soweit sie in den letzten Jahrzehnten ein Wappen verwendete, handelte es sich praktisch bloß um eine geduldete Übung. Auch das Wappen selbst war somit rechtlich in keiner Weise geschützt.
Die rechtmäßige Führung eines Wappens ist aber heutzutage für eine Gemeinde keine belanglose Angelegenheit. Der harte Konkurrenzkampf, der heute ganz allgemein besteht, verpflichtet eine verantwortungsbewusste Gemeindeführung dazu, alles zu tun, um das Ansehen des von ihm verwalteten Gemeinwesens weitestmöglich zu heben. Dazu gehört aber u.a. auch der Erwerb eines rechtmäßigen Wappens. Ist doch ein Wappen gewissermaßen eine attraktive Visitenkarte, der sich die Gemeinde im politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben mit Erfolg bedienen kann. Dabei wirkt ein Wappen umso eindrucksvoller, je älter das Wappenbild ist, auf dem es beruht.
Unter diesen Umständen ist es begreiflich, dass sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr Gemeinden um die Verleihung eines Wappens bemüht haben. Darunter waren sogar überwiegend solche, die auf kein historisches Wappenbild zurückgreifen konnten, so dass deren Wappen völlig neu gestaltet werden musste. Andere ließen sich bloß ein schon bestehendes Wappen durch Verleihung eines Wappenbriefes seitens der Landesbehörde bestätigen.
Diesen Weg ist nun auch die Gemeinde Kirchschlag gegangen. Es geschah dies in der Erwägung, dass ein Ort, der eine so ruhmreiche Vergangenheit aufweist wie Kirchschlag, im Zuge der allgemeinen Tendenz auch ein Wappen führen müsse, zumal es sich dabei ja bloß um die offizielle rechtliche Anerkennung eines schon bestehenden Zustandes handelt und die Gesetzwidrigkeit der bisherigen Übung beseitigt werden soll. Auch konnte im Verlaufe des Wappenverleihungsverfahrens auf einfache Weise das in letzter Zeit in Unkenntnis des wahren Sachverhaltes verwendete unhistorische Wappenbild beseitigt und durch das echte alte Wappenbild ersetzt werden.
Übrigens hat die durch die Wappenverleihung erfolgende Wiedergeburt des alten Marktwappens auch Auswirkungen auf die Gemeindefarben, die bekanntlich aus dem Wappen abzuleiten sind. In den letzten Jahrzehnten wurden In Kirchschlag wiederholt blauweiße Flaggen aufgezogen, was man damit rechtfertigte, dass dieses die Farben Kirchschlags seien. Die ältesten Kirchschlager haben sich allerdings darüber sehr gewundert, da sie sich nicht erinnern konnten, in ihrer Jugend jemals solche Fahnen in Kirchschlag gesehen zu haben. Offenbar haben wir es auch hier mit einer falschen Übung zu tun, die gleichfalls auf das blaue Phantasiewappen des Herrn Arkople aus dem Jahre 1941 zurückzuführen ist. Da das wieder ins Leben gerufene historische Marktwappen rot-weiß als Hauptfarben aufweist, sind nunmehr auch die Kirchschlager Gemeindefarben „rot-weiß“. Also weg mit der blau-weißen Fahne vom Feuerturm!

Insgesamt haben die Kirchschlager allen Anlass, den Tag der Wappenverleihung freudig zu begehen. Erhält doch ihr Gemeinwesen mit dem Wappen ein dekoratives Symbol, das die geschichtliche Bedeutung des Ortes eindrucksvoll vor Augen führt. Denn das Wappenbild weist durch die Darstellung der mächtigen Stadtmauer nicht nur darauf hin, dass es sich um einen stark befestigten Ort gehandelt hat, sondern bringt durch die Wiedergabe des Pottendorfer Wappens auch das hohe Alter der Siedlung zum Ausdruck, deren Herrschaftsinhaber die Pottendorfer schon seit Beginn des 14. Jahrhunderts gewesen waren. 

Es ist ein wirklich schönes Wappen, ein Wahrzeichen voll ehrenwürdiger Tradition. Möge es stets zur Ehre Kirchschlags und zum Wohle seiner Bürger wirksam sein!

Offizielle Beschreibung des Marktwappens:
„In rotem Schild über grünem Erdreich eine gequaderte, zinnenbekrönte silberne Stadtmauer mit mächtiger Toranlage, geöffneten goldenen Torflügeln und hochgezogenem goldenen Fallgitter; die Toranlage flankiert von zwei ebenfalls mit Zinnen bekrönten silbernen Türmen, zwischen ihnen ein von Blau und Rot geteilter Schild, oben aus der Teilungslinie wachsend ein ein rechtsgewendeter, aufsteigender silberner Löwe; der Schild gehalten von einem goldenen Engel, der seine Flügel über die beiden Türme ausbreitet“.
Die aus diesem Marktwappen abzuleitenden Farben der Marktfahne sind „ROT-WEISS“. (Mag. Franz Wanek, Dr. Bruno Schimetschek, 1989)

Marktsiegel
Holzschild
Marktwappen