Das Bezirksgericht Kirchschlag und seine Bezirksrichter

Als im Revolutionsjahr 1848 das bäuerliche Untertanenverhältnis beseitigt und die Grundherrschaften aufgehoben wurden, ergab sich auch für den südöstlichsten Teil Niederösterreichs die Notwendigkeit, die Gerichtsbarkeit neu zu gestalten. Es handelte sich um das Gebiet der Herrschaften Kirchschlag und Krumbach, das die Fürsten Palffy bis 1848 als einheitliche Herrschaft Krumbach-Kirchschlag verwaltet hatten. Der Sitz der Herrschaftsverwaltung war das Schloss Krumbach, wo auch die Gerichtsbarkeit durch einen herrschaftlichen Justiziar ausgeübt wurde, ein Amt, das auf Grund einer Anordnung Kaiser Josefs II. nur durch einen ausgebildeten Juristen versehen werden durfte.
Im Jahr 1848 bekleidete diesen Posten der im Jahr 1812 geborene Eduard Ruef, dessen Vater bereits in herrschaftlichen Diensten gestanden war und zwar als Verwalter des Fürsten Auersperg auf Schloss Ennsegg in Enns (OÖ). Diese Herkunft und seine Stellung als herrschaftlicher Beamter hinderten aber den Justiziar Ruef nicht daran, sich in Krumbach in der ersten revolutionären Begeisterung im März 1848 an die Spitze einer „Nationalgarde“ zu stellen. Viel riskierte er dabei nicht. Denn die Mitglieder der Familie des Fürsten Palffy lebten im Winter meist in ihrem Palais auf dem Josefsplatz in Wien und im Sommer auf ihren großen Besitzungen in Ungarn. Nach Krumbach kamen sie nur ab und zu einmal zur Jagd. So konnten die Herrschaftsbeamten auf Schloss Krumbach im allgemeinen nach ihrem Belieben schalten und walten, ohne eine wesentliche Kontrolle seitens der Herrschaft befürchten zu müssen. Eigentlich waren sie die tatsächlichen Herrschaftsinhaber und benahmen sich auch als solche. Nachdem sich die Stürme der Revolution gelegt hatten, musste man aber auch in Krumbach daran denken, wie die obrigkeitlichen Behörden künftig einzurichten seien. Seitens der österreichischen Regierung plante man ursprünglich, Verwaltung und Justiz von einander zu trennen und neben den Gerichten eigene Bezirkshauptmannschaften zu errichten. Dieser Plan wurde jedoch nur sehr langsam verwirklicht und da und dort überhaupt noch nicht in Angriff genommen, als man sich vorläufig zur Schaffung von sogenannten Bezirksämtern entschloss, die in erster Instanz sowohl Justiz- wie auch Verwaltungsangelegenheiten zu besorgen hatten. So wurde auch auf dem Krumbacher Schloss ein k.k. Bezirksamt eingerichtet und zu dessen Vorsteher der frühere Justiziar Eduard Ruef bestellt.
Der ehemalige Herrschaftsinhaber Fürst Palffy war jedoch nicht sehr erbaut darüber, nunmehr in den Mauern seines Schlosses eine seinem Einfluss entzogene staatliche Behörde beherbergen zu müssen, und bot daher dem Staat das in seinem Besitz befindliche Kirchschlager Hofhaus als Amtssitz der neuen Behörde an. Dieser Vorschlag wurde angenommen und auch von den Kirchschlagern sehr begrüßt, da sie begreiflicherweise daran interessiert waren, dass Kirchschlag Mittelpunkt des neuen Amtsbezirkes werde und so dem benachbarten Krumbach den Rang ablaufe. Allerdings waren damit für die Gemeinde Kirchschlag erhebliche Auslagen verbunden, da sich diese verpflichten musste, das Hofhaus auf eigene Kosten zum Amtsgebrauch herrichten und adaptieren zu lassen, was einen Aufwand von 4095 Gulden erforderte. Immerhin war es dann im Jahre 1854 so weit, dass das Bezirksamt in das Kirchschlag Hofhaus einziehen konnte.
Der Markt Kirchschlag, unmittelbar an der ungarischen Grenze gelegen, schien damals einem Ort vergleichbar, von dem es zum Ende der Welt nicht mehr sehr weit war. Die nächsten Bahnstationen (Neunkirchen und Wr. Neustadt) waren rund 50 km entfernt. Als einziges öffentliches Verkehrsmittel diente bloß eine einmal im Tag verkehrende alte Postkutsche. Im übrigen war man auf privates Pferdefuhrwerk angewiesen oder musste sich „auf Schusters Rappen“ von Ort zu Ort begeben. Ich habe selbst noch in meiner Jugend alte Leute in Kirchschlag gekannt, die mir sagten, dass sie noch nie in ihrem Leben eine Eisenbahn gesehen hätten, obschon es damals zur nächsten Eisenbahnstation (Edlitz-Grimmenstein) nur mehr 25 km weit war.
Eine Industrie war in diesem Erdenwinkel weit und breit nicht vorhanden und ist es auch heute noch nicht. Die Bevölkerung war damals noch etwa zu 90 % in der Landwirtschaft beschäftigt.
Selbst die Handwerker im Markt Kirchschlag waren bloß sogenannte „Ackerbürger“, d.h. sie betrieben neben ihrer gewerblichen Tätigkeit auch noch eine kleine Landwirtschaft. Zweimal im Tag trieb der „Halter“ (Gemeindehirt) des Vieh der Ortsbewohner auf die gemeinsame Weide. Da öffneten sich, wenn das Horn des Hirten ertönte, bei den Häusern links und rechts der Straße die Hoftore und das Rindvieh trottete heraus, um sich der vom Hirten angeführten Rinderschar anzuschließen.
Der Marktplatz hatte damals noch den Charakter eines Angers. Mitten hindurch floss ein kleiner Bach, das „Marktbachel“, das von bemoosten Flächen umsäumt war, auf denen tagsüber meist viele Gänse lagerten. Im Hinblick auf diese ländliche Idylle pflegten die Bürger Aspangs verächtlich zu sagen: „In Kirchschlag krowotelt’s schon ein bissel“. Diese Beurteilung entsprach offenbar einer in Europa allgemein üblichen Gewohnheit, wonach sich der etwas weiter westlich Wohnende gegenüber seinem östlichen Nachbarn weit erhaben dünkt.
Dennoch dürfte sich der Bezirks- und Gerichtsvorsteher Eduard Ruef in Kirchschlag wohl gefühlt haben. Hatte er doch in dem zum Marktplatz gerichteten Trakt des in schönem Renaissance-Stil erbauten Hofhauses große herrschaftliche Räume als Amtswohnung zur Verfügung, die ihm die Ärmlichkeit der Umgebung leicht vergessen ließen. Von ihm existiert eine Charakteristik in den ungedruckten Lebenserinnerungen des Medizinalrates Dr. Heißenberger, in denen es heißt: „Der erste Bezirksrichter und zugleich der letzte Gerichtsvorsteher war Ruef, ein Mann von großer Statur, glatt rasiert, mit aufgebürsteten Haaren, ernst und würdig, eine Erscheinung der Metternichzeit“. Über Ruefs berufliche Tätigkeit aber äußert sich der Kirchschlager Gemeindearzt Ernst Zickero, in seiner Ortschronik „Kirchschlag und seine Denkwürdigkeiten“: „Bei vielen Veranlassungen, wo selbst das Gemeindewohl von Kirchschlag in Anbetracht stand, war es der Herr k.k. Bezirksvorsteher und Bezirksrichter Eduard Ruef, welcher der Gemeinde Kirchschlag mit Rat und Tat an die Hand ging, und erfreut sich dieser Mann, welcher nun schon mehr denn 14 Jahre in Kirchschlag als Bezirksvorstand und k.k. Bezirksrichter wirkt, als tüchtiger Beamter und gefälliger liebenswürdiger Mitbürger der besten allgemeinen Achtung und Verehrung“.
Als im Jahre 1868 die bereits 1848 geplante Trennung von Justiz und Verwaltung endlich verwirklicht wurde und es zur Errichtung von Bezirkshauptmannschaften kam, bestand die Gefahr, dass Kirchschlag auch das Bezirksgericht verlieren sollte, wobei man eine Vereinigung mit dem Bezirksgericht Aspang ins Auge fasste. Unter Hinweis auf die hohen Kosten, die der Gemeinde Kirchschlag im Jahre 1854 im Zusammenhang mit der Instandsetzung des Hofhauses erwachsen waren, gelang es jedoch dem Bürgermeister Burghart und seinem Stellvertreter Zickero, den Verbleib des Bezirksgerichtes in Kirchschlag durchzusetzen.
Da für Verwaltungsangelegenheiten nunmehr die Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen zuständig war, hatte Eduard Ruef jetzt nur mehr das Amt eines Bezirksrichters auszuüben, das er noch bis zu seinem Tod am 20.11.1879 versah. An seinem Begräbnis nahm buchstäblich der ganze Ort teil, da hiezu seitens der Schulleitung auch die gesamte Schuljugend aufgeboten wurde. So groß war damals in der Buckligen Welt das Ansehen eines Bezirksrichters!
In Kirchschlag ist heute die Erinnerung an diesen Mann nur mehr in unserer Familie lebendig, da meine Frau Gertrude Schimetschek, geb. Ruef, seine Urenkelin ist. Im Kirchschlager Friedhof steht jedoch noch sein Grabstein, dessen Inschrift darauf hinweist, dass in dem Grab ein „gewesener Bezirksvorsteher“ liegt, und somit daran erinnert, dass es in Kirchschlag einmal einen Beamten gegeben hat, der die Funktion eines Bezirkshauptmannes ausgeübt hat.
Ruefs Nachfolger war der Bezirksrichter Dr. Chaloupek, von dem Dr. Heißenberger in seinen Lebenserinnerungen sagt, dass er ein feiner und lieber Herr gewesen sei, der sich viel mit Literatur befasste, die Geselligkeit liebte und fast nie ohne die Virginierzigarre im Mund zu sehen gewesen sei. Er ist auch als Leiter eines Theater- und Dilettantenvereines tätig gewesen. Auch seine Frau sei sehr gesellig und musikliebend gewesen und habe unter den Kirchschlagern großes Aufsehen erregt, als sie als erste Frau in einer Hose auf einem kleinen Schlitten rodelte.
Als Bezirksrichter Dr. Chaloupek im Sommer 1887 als Landesgerichtsrat nach Steyr versetzt wurde, kam als provisorischer Leiter des Gerichtes bis zur Neubesetzung des Kirchschlager Richterpostens Dr. Paul von Vittorelli nach Kirchschlag, der zu jener Zeit als Gerichtsadjunkt beim Kreisgericht Wr. Neustadt tätig war, es später aber noch zu hohen Ämtern, nämlich zum letzten Justizminister der Monarchie und zum ersten Verfassungsgerichtshofpräsidenten der Republik Österreich bringen sollte. Damals war er ein Mann in den dreißiger Jahren, ein Hühne von Gestalt, der durch seine geistige Lebendigkeit und fröhliche Geselligkeit, die ihm als ehemaligen Burschenschafter eigen waren, auf die studentische Jugend Kirchschlags eine große Anziehungskraft ausübte. Wenn er irgendwo auswärts einen Amtstag abhalten musste, nahm er stets soviel Jugend mit, als er im Wagen Platz hatte, und zeigte den jungen Leuten, dass Gerichtsbarkeit durchaus nicht nur mit trübseligem Gemüt ausgeübt werden müsse.
Nach so fröhlichen Sommertagen dürfte die Erscheinung des in Herbst darauf ernannten Bezirksrichters Dr. Julius Sölch, der ein überaus ernster und höchst ungeselliger Mann war, wohl wie eine kalte Dusche auf die Kirchschlager gewirkt haben. Für die Wesensart des neuen Bezirksrichters war es wohl bezeichnend , dass er mit dem Kirchschlager Pfarrer Wiesinger einen langwierigen Streit vom Zaun brach als er den kaiserlichen Geburtstag (18.8.1892) nicht – wie üblich in Kirchschlag feiern wollte, sondern sich in der Krumbacher Pfarrkirche 8 Sitze reservieren ließ, obschon ihn der Kirchschlager Pfarrer bereits zum Besuch des Festgottesdienstes eingeladen hatte. Daraus spann sich eine langwierige Korrespondenz zwischen dem erzbischöflichen Ordinariat, dem Krumbacher Dechant, dem Kirchschlager Pfarrer und Dr. Sölch, der sein Vorhaben u.a. damit zu rechtfertigen suchte, dass er Pfarrer Wiesinger „wegen wiederholter Vernachlässigung der Verwahrung eines bösartigen Fleischerhundes“ zu einer Geldstrafe von 5 Gulden habe verurteilen müssen, während Pfarrer Wiesinger wiederum den Bezirksrichter der Lüge bezichtigte. Jedenfalls lässt sich aus dieser Geschichte ersehen, dass in der Monarchie unter Umständen selbst durch Kaisers Geburtstag recht Unerfreuliches verursacht werden konnte.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts zeigte es sich dann, dass das alte Hofhaus – namentlich hinsichtlich der Gefängnisanlagen – den an einen modernen Gerichtsbetrieb zu stellenden Anforderungen nicht mehr gewachsen war, weshalb seitens der Justizverwaltung neuerlich die Aufhebung des Bezirksgerichtes Kirchschlag in Erwägung gezogen wurde. Da kaufte die Gemeinde Kirchschlag das Hofhaus um 12.000 Kronen (heute ca. 85000 Euro), schenkte die Liegenschaft dem Ärar und leistete noch einen Baukostenzuschuss von 8.000 Kronen (heute ca. 56000 Euro), um die Justizverwaltung zu veranlassen, nach Niederreißung des an der Günserstraße gelegenen Teiles des Hofhauses ein neues Gerichtsgebäude auf Staatskosten zu erbauen. So konnte Kirchschlag die Gefahr des Verlustes seines Bezirksgerichtes unter großen Opfern noch einmal abwehren!
Zu dieser Zeit wirkte Dr. Jungwirth als Bezirksrichter in Kirchschlag, der jedoch bald, nämlich am 1. Jänner 1907 von Dr. Julius Schimetschek, meinem Vater, abgelöst wurde. Dieser war vorher Richter beim Bezirksgericht Baden gewesen und hatte um einen Bezirksrichterposten – nach meiner Erinnerung beim Bezirksgericht Amstetten – angesucht, wobei das Gesuch mit der damals bei Stellenbewerbungen in der Justiz vorgeschriebenen Klausel: „….oder einen anderen frei werdenden Posten“ versehen sein musste. Während sich also mein Vater im Geiste schon in Amstetten wähnte, erhielt er eines Tages die Verständigung, dass er zum Bezirksrichter des k.k. Bezirksgerichtes Kirchschlag ernannt worden sei. Sein Schrecken war nicht gering, zumal er als gebürtiger Mährer keine Ahnung hatte, wo sich dieses „Kirchschlag“ befinde, und zu seiner Information erst die Landkarte studieren musste.
Am Silvestertag 1906 musste er schließlich zu seinem neuen Dienstort aufbrechen. Auf der Bahnstation Edlitz-Grimmenstein wartete ein Schlitten auf ihn, der ihn in drei Stunden nach Kirchschlag bringen sollte. Denn es gab frisch gefallenen tiefen Schnee, der nur ein sehr langsames Fahren ermöglichte. Als sich das Gefährt Krumbach näherte, wollte mein Vater schon aus dem Schlitten steigen, doch der Kutscher sagte tröstend: „Na, Herr Bezirksrichter, wir sind noch nicht in Kirchschlag, bis dorthin dauert’s noch einmal so lang!“ Da fügte sich mein Vater seufzend in sein Schicksal.
Der Kontrast zwischen dem eleganten Kurort Baden und dem hinterwäldlerischen Kirchschlag war damals ein enormer. Während ihm dort ein moderner Wohnkomfort mit allen möglichen Annehmlichkeiten zur Verfügung gestanden war, gab es hier nicht einmal ein elektrisches Licht, sondern nur das Halbdunkel rußiger Petroleumlampen. Von der Rückständigkeit sanitärer Anlagen will ich lieber überhaupt nicht sprechen, um die Leser dieser Zeilen nicht allzu sehr zu erschüttern.
Am Silvesterabend wurde der neue Bezirksrichter von seinem Vorgänger Dr. Jungwirth in die Kirchschlager Gesellschaft eingeführt, wobei er über die von der Damenwelt zur Schau getragene uralte Mode gar sehr erstaunt war. Tief erschüttert ging er an diesem ersten Abend zu Bette.
Doch, jedes Ding braucht seine Zeit! Es kamen zunächst die Tage der Einarbeitung auf dem neuen Arbeitsplatz, dann die Monate der allmählichen Gewöhnung an die fremde Umgebung. Schließlich aber, als der Sommer kam, fand sich sogar eine Frau, in die sich der bisherige Junggeselle verliebte. Im November 1907 wurde Hochzeit gefeiert und im Sommer darauf trafen bereits 2 Söhne (Zwillinge) ein, lauter Ereignisse, die dem nunmehrigen Familienvater die Schrecknisse der ersten Kirchschlager Tage bald vergessen ließen und den zunächst gering geschätzten Ort bald zu seiner zweiten Heimat machten.
Denn das Leben in Kirchschlag bot damals nicht nur Nachteile. Wohl mussten so manche Fortschritte der Technik und Zivilisation, die es anderswo bereits gab, entbehrt werden. Dafür wusste man in der Buckligen Welt noch nichts von Klassenkämpfen und anderen Entartungen der politischen Auseinandersetzung. Der weitaus überwiegende Teil der Bevölkerung war noch fest im christlichen Glauben verankert, besuchte regelmäßig den Sonntagsgottesdienst und beteiligte sich alljährlich in hellen Scharen an den Fronleichnams- und Auferstehungsfeiern, wobei allgemein erwartet wurde, dass der Bezirksrichter als der höchste im Orte ansässige Staatsbeamte in der Uniform eines k.k. Bezirksrichters als erster hinter dem Himmel schreiten werde. Mein Vater, der ein sehr bescheidener Mensch war, hat sich in einer solchen Rolle allerdings nicht sehr wohl gefühlt; doch hat er sie ergeben auf sich genommen in dem Bewusstsein, dass er auch dies in Erfüllung seiner Amtspflichten durchstehen müsse.
Im Jahre 1913 kam dann mein Vater als Gerichtsvorsteher nach Gloggnitz und beendete schließlich seine Richterlaufbahn als Senats-Vorsitzender beim Landesgericht für Zivilrechtssachen in Wien. Seine letzten Lebensjahre (1945 – 1950) verbrachte er im Hause meiner Mutter in Kirchschlag, das Ernst Zickero, mein Urgroßvater, im Jahre der Begründung des Bezirksgerichtes Kirchschlag (l854) erworben hatte.
In der Zwischenkriegszeit wirkte Dr. Josef Kleng als Gerichtsvorsteher in Kirchschlag. Er hat dieses Amt am längsten von allen, nämlich von 1916 – 1949, somit 33 Jahre innegehabt. Er war ein sehr rühriger Mann, der auch außerhalb seines Richterberufes eine rege Tätigkeit entfaltete. So gehörte er u.a. auch dem Kirchschlager Gemeinderat an und hielt in der Kirchschlager Landwirtschaftsschule Einführungsvorträge rechtlichen Inhaltes. Auch betrieb er intensive historische Studien und veröffentlichte in den „Blättern für die Heimatkunde von Kirchschlag“ zahlreiche Aufsätze. Auch mich zog er schon in meiner Gymnasialzeit als Mitarbeiter heran und veranlasste mich zur Abfassung heimatkundlicher Artikel. Damals begleitete ich ihn in meinen Schulferien auch öfters zu den Amtstagen nach Wiesmath und Hochneukirchen, wobei ich seine außerordentliche Geschicklichkeit, mit den Parteien richtig umgehen zu können, immer wieder bewundern konnte. Daher wurde er auch allgemein als Autorität anerkannt und fast alle stimmten nahezu ausnahmslos seinen Vergleichsvorschlägen zu, sobald er erklärte, dass ein weiteres Prozessieren sinnlos wäre. Er hat dadurch den Leuten viel Geld erspart und dem Kreisgericht Wr. Neustadt so manche Berufung. Ich aber lernte daraus, dass ein guter Richter nicht nur ein gediegenes juristisches Wissen, sondern auch das Talent haben müsse, mit Menschen richtig umzugehen, eine Erfahrung, die mir später bei Ausübung meiner richterlichen Tätigkeit viel geholfen hat.
Nach Klengs Pensionierung gab es nur mehr einen Richter, der längere Zeit als Gerichtsvorsteher in Kirchschlag tätig war, nämlich Dr. Franz Wanek, der dieses Amt von 1952 – 1962 ausübte. Er tat sich vor allem im gesellschaftlichen Leben hervor, leitete den Kirchschlager Verschönerungsverein und regte auch sportliche Veranstaltungen an. Er kam dann zunächst zum Kreisgericht Wr. Neustadt und beendete seine richterliche Tätigkeit als Präsident des Wiener Jugendgerichtshofes.
Am 29.1.1984 ist er gestorben.
Dr. Wanek war der letzte Gerichtsvorsteher, der seinen dauernden Wohnsitz in Kirchschlag hatte. Von da ab wurde der Kirchschlager Richterposten nur mehr von Richtern versehen, die zweimal in der Woche von Wr. Neustadt nach Kirchschlag kamen.
Schließlich wurde das Kirchschlager Bezirksgericht, das zuletzt schon ein wenig einzuschlafen drohte, am 31. Dezember 1991 gänzlich aufgehoben und dessen Bezirk dem Bezirksgericht Wr. Neustadt hinzu geschlagen.
Das war das Ende des „kleinen Bezirksgerichtes!“ (Dr. Bruno Schimetschek, 1992)